Von Sabine Wöhner, www.justfordogs.de
Sehr oft fragen mich Leute: „Ich kriege meinen Hund nicht ausgelastet, was soll ich tun?“ Oder: „Er will immerzu Ball spielen!“
Oft wird nach Tipps gefragt, wie man den Welpen ans Fahrrad gewöhnt, oder mir wird stolz erzählt, man hätte seinen 12-wöchigen Welpen ja schon 1,5 Stunden mit beim Reiten gehabt und er hätte das ja soooo toll gemacht…
Abgesehen davon, das man seinem Welpen nicht nur körperlich zuviel zumutet – man tut ihm auch psychisch Ungeheuerliches an! Der Zwerg rennt dem Fahrrad oder Pferd nicht etwa nach, weil es ihm Spaß macht – sondern weil er panische Angst hat, alleine zurückzubleiben!! Der Folgetrieb ist in dieser Zeit noch sehr sehr stark ausgeprägt und für den Pimpf ist es lebensnotwendig, den Anschluss an seine Familie nicht zu verlieren. In der Natur würde es seinen sicheren Tod bedeuten…
Bevor ich mich lange in Erklärungen verliere, möchte ich gerne auf einen Artikel verweisen, den die Australian-Shepherd-Züchterin Silke Löffler zu diesem Thema verfasst hat und welchem ich vollumfänglich zustimme!
Der Originaltext ist zu sehen unter: http://www.australian-shepherds.de/wissenswertes/stress_beim_hund/
Dieser Artikel ist zwar „zugeschnitten“ auf den Australian Shepherd – aber sehr gut umzulegen auf viele weitere Rassen.
„Der Australian Shepherd ein Aussie-irdischer?“
„Ein unersättlicher Bewegungs-Junkie?“
„Entspricht es der Wahrheit, dass man einen Australian-Shepherd 6 – 8 Stunden am Tag beschäftigen muss?“
„Meine Bekannte, mein Tierarzt, ja sogar Aussie Züchter oder der/die Hundetrainer haben uns gesagt, dass ein Aussie alles zerstört, wenn er nicht jeden Tag mindestens 2 mal täglich 2 – 3 Stunden stramm am Fahrrad gelaufen ist.“ – und dergleichen.
„In der Hundeschule hat man uns erzählt, ein Aussie braucht 2 – 3 Stunden Kopfarbeit pro Tag!“
Jeder zweite Anrufer kommt mit derartigen Horror-Visionen zu mir! Und schlimmer noch! Es gibt Hundehalter, die ihre Hunde im guten Glauben Tag für Tag pausenlos überfordern und sich so mit aller Gewalt einen unruhigen, unausgeglichenen, hyperaktiven Australian-Shepherd mit Sucht-/Zwangsverhalten basteln.
Ich erlebe Hundehalter, die oft unbewusst, aber pausenlos auf ihre Hunde einwirken. Sei es durch ständigen Zug (kein Annehmen und Nachgeben) der Leine oder unkontrolliertes Rupfen und Zerren am Hals, wodurch sensibelste Nervenzellen abgedrückt und gequetscht werden. Oder nicht weniger schlimm, ein fortwährendes Ansprechen ohne jegliches klares Kommando. Ich erlebe das Hundeführer in 30 Sekunden 5-mal und mehr den Namen ihres Hundes rufen, mit dem Ergebnis, dass ihre Hunde sie nicht mehr wahrnehmen und abstumpfen.
Wie würden sie sich verhalten, wenn sie ständig, oft noch mit schriller, lauter oder monotoner Stimme, regelrecht zugetextet würden?
Man reagiert nervös? Ärgerlich? Aggressiv? Oder man reagiert in kürzester Zeit gar nicht mehr und stumpft völlig ab?
Je nach Veranlagung und Charakter wird der Hund reagieren und agieren. Hunde können sich, wenn ihr Maß voll ist, nicht entziehen! Sie können nicht einfach gehen oder aber sagen: „Oh je, du tust mir nicht gut! Ich suche mir einen anderen Partner!“ Sie hängen buchstäblich an der Leine! Stress pur!
Stress
ist ein Zustand, in dem ein Organismus auf eine innere oder äußere Bedrohung reagiert und all seine Kräfte darauf konzentriert. Ähnlich wie bei einer akuten körperlichen Krankheit. Krankhafte Veränderungen durch lang anhaltenden oder starken Stress, führen zu Erkrankungen des Immunsystems, Magen-Darm-Erkrankungen, Nieren-, Herz-, und Kreislauferkrankungen, erhöhte Aggressionsbereitschaft oder Depression. Sobald der Körper in Stress gerät, werden sogenannte Stresshormone (Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin) ausgeschüttet.
Man unterscheidet zwischen Eustress, eine Belastung von Geist oder Körper, die keine schädliche Wirkung hat und beim Menschen als positiv und anregend empfunden wird, und Disstress die negative, krankmachende Form von Stress.
Der Körper wird in optimale Leistungsbereitschaft (Erhöhung der Widerstandskraft) versetzt um zu überleben. Dieser Alarmzustand kann aber nicht lange aufrecht erhalten werden. Nach der Stressphase muss es zu einer langen Erholungsphase kommen. Wenn dies nicht gegeben ist, entstehen Anpassungskrankheiten (körperliches Fehlverhalten), deren Hauptverursacher Cortisol ist. Nach ca. 20 Min. ist beim Menschen der Cortisolspiegel im Blut auf die Hälfte gesunken. Durch anhaltenden Stress sinkt der Cortisolspiegel 4-mal langsamer. Dieser Effekt verstärkt sich mit der Dauer des Stresses immer weiter!
Stress auslösende Faktoren
- keine Ruhezonen und -Zeitenständiges massives Stören in den Ruhephasen
- ständiger Lärm
- Streit in der Familie
- aggressive und laute Stimmlage (Aggression in der Umgebung)
- ständiger Leinendruck
- zu hoher Anspruch beim Training oder im Alltag
- Ausstellungen – Wettbewerbe
- Übermaß an aufregenden Objekt-/Sozialspielen
- keine klare Kommunikation mit dem Tier (keine eindeutigen, unmissverständlichen Kommandos)
- zu oft und zu viel Bewegung/Aktivität
- zu selten und zu wenig Bewegung/Aktivität
- Hunger/Durst/falsche Ernährung, z.B. durch einen zu hohen Getreideanteil in der Futterration
- sich nicht oft genug entleeren dürfen
- Wärme/Fußbodenheizung
- zu trockene Luft ohne die Möglichkeit eines Platzwechsels
- Krankheit/Schmerzen
- plötzliche Veränderungen
- Scheidungen/Besitzerwechsel
- Wenn die Familie für den Urlaub packt ist die Angst alleine gelassen zu werden oft groß
- Einsamkeit/Langeweile, ein erwachsener Hund sollte nicht mehr als 4 – 5 Stunden pro Tag allein bleiben!
Mögliche Zeichen von Stress beim Hund
- rote Augen (werden bei Welpen oft mit einer entwicklungsbedingten Bindehaut-Erkrankung verwechselt)
- Hecheln, Zittern, Rastlosigkeitnervöses/aggressives Verhalten
- abweisende Reaktionen
- Überreaktion auf Ereignisse (Türglocke)
- Verweigerung der Nahrung
- ständige feuchte Pfoten (Schweißfuß)
- übertriebene Körperpflege, Knabbern und ständiges Belecken der Pfoten und Beine
- verhärtete, steife Muskulatur
- Schuppen, schlechtes stumpfes Fell, Hautprobleme
- zäher Speichelfluss
- Gegenstände zerbeißen
- Appetitlosigkeit
- Durchfall/Erbrechen
- Verweigerung der Nahrung
- ständige feuchte Pfoten (Schweißfuß)
- Körper- und/oder Mundgeruch
- schlechter Allgemeinzustand
Erhöhte Aggression bedeutet die vermehrte Hormonausschüttung von Testosteron. Dieses führt unter anderem zu einer verringerten Reizschwelle. Der Hund reagiert in bestimmten Situationen heftiger als sonst, z. B. auf andere Tiere, Menschen, Kinder, Radfahrer oder Jogger. Das Suchtverhalten und Ersatzhandlungen (z.B. das Jagen von Radfahrern usw.) werden durch die ständigen anhaltenden Adrenalinschübe deutlich sichtbar. Sofort liegt dann der Verdacht nahe: „Der Hund ist NICHT ausgelastet! Ich muss noch mehr tun!“
Hunde (auch der Australian-Shepherd) sollten durchschnittlich 18 Stunden pro Tag schlafen/ruhen/dösen/sich zurückziehen können! Jede Stunde weniger steigert die Stresssymptome. Erwachsene Hunde sollten nicht mehr als 4 – 5 Stunden pro Tag allein gelassen werden. Ein gesundes Maß an Bewegung und Kopfarbeit ist lebenswichtig, Extreme machen krank!
Falsches Spielen führt zu Suchtverhalten und Stress!
Leider spielen viele Hundehalter mit ihren Welpen oft und schon viel zu früh ausschließlich rein jagdlich motivierte Objektspiele mit dem Ball. Daraus können sich beim ausgewachsenen Hund dann stereotype Verhaltensmuster (tiefgreifende Entwicklungsstörung) entwickeln. Beim Beobachten von Mensch und Hund bietet sich mir leider sehr oft ein trauriges, monotones Bild.
Es gibt so viele Hundehalter die zu oft am selben Ort und zur gleichen Zeit und immer wieder die Selben aufputschenden Spiele durchführen und Suchtverhalten damit provozieren und fördern. Dazu gehören z.B. alle jagdlich motivierten Objektspiele – vorzugsweise mit dem Ball. Durch die monotone Fixierung wird der Hund regelrecht süchtig gemacht, das immer gleiche Spiel, das Abspulen von festen Bewegungsabläufen bringt dem Hund irgendwann noch Befriedigung, aber er möchte jeden Tag etwas mehr und mehr. Stichwort: Adrenalin! Der Pegel will vom Hund gehalten werden. Das Tier verfällt in eine Art Rauschzustand. Beim Hetzspiel mit dem Frisbee oder dem Ball werden im Gehirn opiatähnliche Botenstoffe ausgeschüttet, ähnlich wie bei der Jagd auf ein Beutetier. Dadurch kommt es zu einer immer stärker werdenden Fixierung auf das Spielobjekt und die Ausprägung von einseitigen stereotypen Bewegungsmustern bis hin zu Verhaltensstörungen. (Beim Border-Collie konnte ich dies bisher am besten beobachten, er fällt regelrecht in eine Art Fixierstarre).
Man kann beobachten, dass der Hund durch die Erwartungshaltung schon lange vorher angespannt und aufgedreht reagiert und oftmals nur langsam wieder zu sich und zur Ruhe kommt. Man ist weit davon entfernt ein ausgeglichenes und zufriedenes Familienmitglied zu haben.
Was ist ein gesundes Maß für meinen Aussie, wie spielt man richtig?
5 – 10 Minuten Kopfarbeit sind z. B. für einen erwachsenen Hund anspruchsvoller und ermüdender als 2 Stunden oft körperlich schädigendes, langweiliges, schnelles Traben am Fahrrad auf hartem Asphalt. Ein zufriedener, gesunder und erwachsener Aussie könnte z. B seinen Alltag so verbringen:
Je nach Lust und Laune kann man einen großen und 2 kleinere Spaziergänge auf den Tag verteilen. Z.B. Morgens eine ½ Stunde (gerne auch bis zu zwei Stunden), lockeres Spazierengehen. Man kann, wenn man möchte kleine Trainingseinheiten, wie z.B. Zeit begrenztes, überwachtes Ablegen, kleine Suchspiele, das lockere Abrufen von kleinen Kunststücken im Spaziergang integrieren. Kinder aber auch alte oder behinderte Menschen kann man so sinnvoll einbeziehen und ihnen auf spielerische Art und Weise das Verhalten und die verschiedensten Reaktionen des Hundes nahe bringen
Spielen ist immer zweckfrei!
Rein aus Freude am Spiel wird gespielt, auch wenn dabei auf beiden Seiten so enorm Wichtiges erlernt und erlebt wird! Aussies und gewieften Kindern wird es schnell langweilig, Abwechslung ist angesagt! Lasst die vielen Hilfsmittel sowie den Ball einfach einmal weg. Wir sollten viel körperlich mit unseren Hunden toben, denn das ist die beste Basis für eine gute Kommunikation. Man hat seinen Körper, seine Stimme, seine Hände, seine Kreativität, die Freude am direkten Spiel – Körperkontakt mit seinem Hund. Dabei können wir Rollen wechseln, können mal Jäger, mal Gejagter sein. Im Zerrspiel sollten wir mal gewinnen, mal verlieren lassen. In diesem spontanen Wechsel kann man fantastisch, soziale Auseinandersetzungen und Wechselwirkungen üben und bewachen. Dabei sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass immer rassetypisch gespielt wird! Verschiedene Rassen haben verschiedene Bedürfnisse. So kann man gewünschte Eigenschaften bewusst fördern und begrüßen, und unerwünschte wenn nötig ignorieren und im Spiel ohne Zwang abmildern. Schon beim Welpen fördert dies eine positive Entwicklung. Ein Welpe, der viel und abwechslungsreich spielen durfte, zeigt später ein ausgeprägteres Problemlöseverhalten!
Wer spielt, hat viel Spaß miteinander, man lernt sich gut kennen und die Bindung und das Vertrauen wachsen täglich. Sollte das nicht unser aller Wunsch und Ziel sein?
Es ist schon lange einer meiner Grundsätze, dass die kleinsten Dinge oft die Wichtigsten sind. Lassen Sie sich Zeit und machen sie nichts in Eile oder Hektik. Weniger ist oft so viel mehr. Lassen Sie sich etwas einfallen, seien Sie kreativ! Es gibt so viele kleine Dinge mit unglaublich großer Wirkung. Im negativen, so wie im positiven Sinne!
Misserfolg ist lediglich eine gute Gelegenheit, mit neuen Ansichten noch einmal von vorne anzufangen.
Zuhause sollte der Aussie Ihren Alltag und Rhythmus mit er-/leben dürfen. Der Hund muss sich dabei jederzeit (UNGESTÖRT) und solange er möchte, zurückziehen können. Kleinere oder größere Pipi-Runden werden so wie alles andere natürlich im festen Alltag integriert, jeder wird schnell seinen eigenen Rhythmus finden. Aussies sind sehr gesellig und spielen gerne unbeschwert mit Artgenossen. Treffen Sie sich mit befreundeten Hunden und lassen sie die Hunde unbeschwert spielen. Rufen Sie Ihren Hund hin und wieder aus dem Spiel ab, loben ihn und lassen ihn anschließend weiterspielen. Dadurch lernt der Hund, dass es lohnenswert ist, jederzeit zu Ihnen zu kommen und dass dieses kommen nicht das Ende bedeutet. Gerne kann man auch 2 – 3 Mal in der Woche seinen für sich gewählten Hundesport ausüben.
Eine gute und sinnvolle Beschäftigung mit dem Hund zeichnet sich aber immer dadurch aus, dass sie möglichst frei von sportlichem Ehrgeiz und eigenem Ego ist und rein aus Spaß an der Sache stattfindet – und das für beide Seiten.
Da gibt es keine applaudierenden Zuschauer, es werden keine Punkte und Schleifen vergeben, einzig die Freude am und mit dem Hund zählt.
Permanente Reizüberflutung macht Menschen und Tiere krank!
ALLES in Maßen und man ist auf dem richtigen Weg!
„Schlafende Hunde weckt man nicht“ …aber das andere Ende der Leine sollte wachgerüttelt werden.
Quelle: Sabine Wöhner, www.justfordogs.de